Ein Apell für die dunkle Seite der Macht
Böhmisches Dunkles Lager
Es sind schon ein paar Jahre ins Land gezogen, als es mich zum ersten Mal in die Goldene Stadt Prag zog und ich in Europas ältester Gasthausbrauerei U Flekú, das dunkle Flekovský Tmavý Ležák probieren durfte. Es war damals meine erste Begegnung mit einem dunklen, vollmundigen, extrem geschmackvollen Bier und dieser geschmacksintensive Moment ist tief in meinem Bewusstsein verankert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ausschließlich helle Biere kennen gelernt und war überwältigt von dem kraftvollen Trunk, welcher sich mir wie eine Offenbarung präsentierte. Das böhmische Dunkel wird zuweilen auch als böhmisches Schwarzbier bezeichnet. Es ist vollmundig malzig mit einer leichten Karamellnote. Es wird hervorragend mit einer angenehmen Röstmalznote und blumigen tschechischem Hopfen kombiniert.
Heute, nach mehr als dreißig Jahren vieler roter, brauner, schwarzer und andere dunkler Biermomente ist es mir ein Bedürfnis eine Lanze zu brechen für diese finsteren Augenblicke des Lebens, diese Schattenseiten des Herkömmlichen, um eben diese aus und in ihrer Dunkelheit strahlend sichtbar zu machen.
Vorab stellt sich die Frage, was war zuerst vorhanden - Dunkelheit oder Helligkeit.
Einige Archäologen und Anthropologen vermuten aufgrund von Ausgrabungen in Göbekli Tepe, bei welchen Steintröge zur Aufbewahrung von Getreide und zur Herstellung von Bier, gefunden wurden, dass die ersten Biere der Spezies Homo Sapiens in der östlichen Region der heutigen Türkei, gebraut wurden. Die darauffolgende sumerische Zivilisation bietet uns aufgrund des Funds einer Tontafel mit Keilschriftzeichen von ca. 1800 v. Chr. einen Einblick in die damalige Herstellung von Bier. Daraus wird deutlich, dass es praktisch keine Zutaten oder Verfahrensweisen gab, die den ersten Bieren der Menschheit eine dunkle Farbe hätte geben können. Vereinzelt jedoch, soll damals schwarze Gerste verwendet worden sein, was also die Existenz eines ersten dunklen Bieres im frühen Neolithikum theoretisch möglich machen würde und somit nicht ausschließt.
Gesichert hingegen ist, dass Malz – und somit auch das Bier, dunkler wurde, als die Brauer bzw. Mönche anfingen mit direkt statt indirekt befeuerten Darren das gekeimte Getreide zu trocken. Diese Phase begann im 9. Jahrhundert und dauerte fast 1000 Jahre, bis im 19. Jahrhundert neue Brennstoffe und Methoden der Malztrocknung entwickelt wurden und durch neue Keim- und Darrmethoden die Malze in Bezug auf Farbe und anderen Eigenschaften gezielt reguliert werden konnte.
Ich bin mir bewusst, nur einen Ausschnitt der Vielfalt dunkler Biere darzustellen und habe mich daher auf eigene Erfahrungen und Geschmackserlebnisse gestützt, um somit authentisch eine kleine, aber feine Odyssee durch die Welt der dunklen Biere erlebbar zu machen.
Altbier, Doppelsticke
Nachdem der Besuch Prags für einige Jahre obligatorisch wurde, begegnete ich im Rheinland erneut einem dunklen Bier. Die Landeshauptstadt Düsseldorf ist noch heute ein Zentrum der Altbiertradition, welche wohl bis in die Antike zurück geht. Dieses obergärige Bier alter Brauart wird noch in mehreren Brauereien der Stadt hergestellt. Eine besonders dunkle Ausführung kredenzt die Brauerei Uerige. Das Uerige Alt wird seit 1862 gebraut und ist ein sehr hopfenbetontes Bier. Der karamelmalzige Körper mit leichten Röstaromen findet dadurch seinen Widerpart. Seit dem Jahre 2015 braut der Uerige ein spezielles Starkbier, die Doppelsticke mit erstaunlichen 8,5 % Alkohol. Karamellisierter Zucker, Malz, Kräuter, Aromen von Schokolade und Rum gepaart mit einem intensiven herbalen Hopfenaroma machen dieses Bier unverkennbar.
Kurz darauf überschlugen sich die Ereignisse und eine zeitliche Einordnung der düsteren Bierbegegnungen verliert sich in den tiefen des Raums.
Bayerisches Dunkles Lager
In der fränkischen Schweiz traf ich den Urahnen aller dunklen Lagerbiere, das bayerische Dunkel. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen geht man heute davon aus, dass im 16. Jahrhundert die untergärige Hefe in Bayern entstand. Das jedoch ist eine andere Geschichte.
Ob in der Brauerei Held in Oberailsfeld im Ahorntal als Dunkles Bauernbier genossen, in der Brauerei Krug von Conni, dem Chef persönlich, als Dunkles Krug-Bräu empfangen oder im legendären Kathibräu in Heckenhof versucht, haben diese Biere meist einen satten Ton von Mahagoni. Der Schaum ist leicht bräunlich und fest. Sie sind süffig, karamellig, nussig und Noten von Schokolade und Toffee sind zu vernehmen. Der Hopfen ist eher schwach angedeutet und die moderate Rezenz bietet einen geringen Trinkwiderstand.
Rauchbier
Nicht weit entfernt, in Bamberg, der heimlichen Bierhauptstadt Deutschlands, begegnete ich einem anderem historischen Bierstil. Rauchbier ist ein rauchiges und üblicherweise unfiltriertes Lagerbier. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Art ist das dunkle Märzen der Brauerei Schlenkerla. Ich empfehle jedem, der zum ersten Mal dieses Bier verkostet, ein entsprechend deftiges fränkisches Essen damit zu kombinieren, wodurch der Zugang zu diesem Bierstil wesentlich einfacher gelingt. Für einen ersten Kontakt mit einem etwas milderen Rauchbier ist auch die Brauerei Spezial oder Brauerei Kundmüller zu empfehlen.
Rauchbier ist ein Überbleibsel vergangener Zeiten, denn bis zum 19. Jahrhundert hatte das Bier für fast 1000 Jahre, aufgrund der Art des Darrens, immer einen mehr oder weniger intensiven Rauchgeschmack.
Mexikanisches Dunkel
Doch nicht nur in Deutschland entdeckte ich finstere Gesellen des Gerstentrunks.
Bei meiner ersten längeren Reise durch Mittelamerika kam ich sowohl in Mexico als auch in Guatemala überraschenderweise mit einem Cerveza Negra, einem dunklen Lagerbier, in Kontakt. Dieser Bierstil ist zurückzuführen auf ein kurzes dreijähriges Österreich-mexikanisches Kaiserreich, welches Folge vielerlei Zufälle war. Neben dem Tequila erwuchs das Cerveza Negra zum mexikanischen Nationalgetränk. In Guatemala verkostetete ich häufiger das Gallo Dark Lager und in Mexico das Cerveza Negra Modelo. Beide Biere sind gut ausbalanciert und kombinieren karamellige Malznoten mit floralen bis zitrusartigen Hopfennuancen. Leicht nussig und mit einem Hauch von Toffee, bleibt auch eine angenehme Bittere spürbar.
Dunkle Bock & Doppelbockbiere
Mein erstes Dunkles Bockbier genoss ich in Brüssel. Welches Land bietet sich besser an, als Belgien, dessen Bierkultur die UNESCO als immaterielles Kulturerbe auszeichnete. Denn der größte Teil aller Trappistenbiere wird hier hergestellt.
Dunkle Bockbiere und dunkle Doppelbockbiere sind auf die Tradition dunkler Klosterbiere zurückzuführen und haben als obergärige Trappistenbiere eine faszinierende Komplexität entwickelt. Das Chimay Blue, der Chimay Brauerei, welche in der Abtei Notre-Dame de Scoumont gebraut wird, war ursprünglich als Weihnachtsbier gedacht, was sich auch im Duft widerspiegelt. Noten von Mandel, Karamell und Malz dringen in die Nase, zu welchen sich leichte Honignoten und weihnachtliche Gewürznoten gesellen.
Die Chimay Brauerei braut heute 130.000 hl jährlich, was mehr als 10 % des gesamten belgischen Spezialbiermarktes ist. Ein drittel der Gesamtproduktion wird exportiert.
Ebenfalls absolut empfehlenswert sind das Rochefort 8 der Abtei Notre-Dame de Saint-Rémy in Rochefort.
Wenn es um obergärige dunkle Bockbiere geht, bedarf ein Bier besonderer Erwähnung.
Der Schneider Aventinus Eisbock ist eines der komplexesten Biere seiner Art. Durch gefrieren wird aus einem Weizenbock ein Weizen-Eisbock. Dieses Bier erinnert an sehr würzige Pflaumen, ebenfalls ist ein Hauch von Marzipan wahrzunehmen. Leichte Bananen- und Nelkenaromen ergänzen das Aromaprofil. Dieses Bier ist perfekt ausbalanciert, wodurch man die 12% Alkohol nicht sofort bemerkt. Meine persönliche Empfehlung ist die Kombination mit einem kräftigen Käse.
Aber auch die untergärigen Vertreter der Dunklen Bockbiere kreuzten meinen Weg. Direkt am Donaudurchbruch liegt die älteste Klosterbrauerei der Welt, die Klosterbrauerei Weltenburg. Seit nun 1050 Jahren wird dort nachweislich gebraut und bis in 16. Jahrhundert waren alle Biere noch obergärig. Heute jedoch brilliert die Brauerei mit Ihren untergärigen Bieren. Das Dunkle Barock bietet vollmundige Aromen. Im Tonkrug ist die Farbe nicht direkt erkennbar, allerdings verrät bereits der karamellfarbende Schaum, dass es sich um ein Dunkles Bier handelt. Der Geschmack ist leicht cremig mit Röstmalz-, Schokoladen- und ganz leichten Kaffeenoten.
Auch in München ist ein früher Beginn des Klosterbrauens dokumentiert. Mitten im dreißigjährigen Krieg wurde der Paulanerorden von den Wittelsbachern nach München berufen. 1780 präsentierte dieser den ersten bayerischen Doppelbock mit dem Namen Salavtor. Wie bereits der lateinische Name erklärt, galt dieser als Retter in der Fastenzeit.
Das Bier ist kastanienbraun und verbreiten den Duft von Herrenschokolade. Eine Melange aus Toffee, Kaffee, Schokolade, Nüssen und süßen Trockenfrüchten trifft den Duft recht gut.
Das Alkoholaroma ist deutlich und hinterlässt ein wärmendes Gefühl.
Braunbier/ Brown Ale
Inmitten des waldreichen Siegerlandes, welches über 2000 Jahre durch den Erzbergbau geprägt war, dort wo bereits die Kelten 500 v.Chr. Bergbau betrieben, gibt es eine kleine, aber feine private Brauerei. Seit über 300 Jahren braut die Bosch Brauerei in 11 Generation in Bad Laasphe. In den 90er Jahren besann man sich eines alten Bierstils, dem Braunbier.
Das Bosch Braunbier wird nach einem alten Orginal-Rezept gebraut und ist ein mild-süffiges und karamelliges Bier. Als Slowbrewer ist der Boschbrauerei die Qualität der Biere besonders wichtig, was sich auch durch eine ausreichend lange Lagerung widerspiegelt.
Die nächste Begegnung mit einem Brown Ale erfolgte in einem englischen Pub in New Castle upon Tyne. Hier, in der nördlichsten Hafenstadt Englands ist die Geburtsstätte des Brown Ale. Traditionell waren diese Biere ein Verschnitt aus zwei Bieren. Der Verschnitt enthielt 1/3 lang gelagertes Strong Ale und 2/3 kurz gelagertem Ale mit geringerer Stammwürze. Diese Bier überzeugte damals mit einem Vollmundigen Geschmack. Die nussigen und biskuitartigen Noten gaben dem Bier auch die Bezeichnung Nut Brown Ale.
Fern ab der Geburtsstätte des Nut Brown Ale, in Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias elektrifizierte mich in einer kleinen Craftbeer-Bar ein Bier derart, dass ich es euch nicht vorenthalten möchte.
Ein Haselnusstraum aus dem Glas. Das Rogue Hazelnut Brown Nectar von der US-amerikanischen Brauerei Rogue, aus Oregan duftet nach Toffee, Karamell und Haselnuss.
Diese Aromen bestätigen sich auch beim ersten Schluck. Malzige Aromen, geprägt von einem nussigen, karamelligen Charakter treten in den Vordergrund und werden im Abgang durch eine dezente Bittere abgerundet.
Porter/ Stout
Doch wieder zurück nach England, denn neben dem Brown Ale, welches als Arbeiterbier galt, darf ein Bierstil natürlich nicht unerwähnt bleiben, das Porter.
Im 18. Jahrhundert bestand der Vorläufer des Porters aus je einem Drittel Ale, Bier und Twopenny Bier, einem hochwertigerem Ale. 1722 wurde im Londoner Harwood ein Bier namens „Intire“ oder „Entire Butt“ gebraut, dass die besten Eigenschaften dieser drei Bestandteile in sich vereinte. Die Namensgebung fällt jedoch auf die englischen Lastenträger und Hafenarbeiter, die den ganzen Tag viel zu Tragen hatten und dieses neue kalorienreiche Bier schnell liebten. Im weiteren Jahrhundert wurde das Porter ein Mittel der Industrialisierung und die Brauprozesse wurden immer schneller. Die Nachfrage stieg immens, was zu immer mehr Varianten und Stärken im 19. Jahrhundert führte. Besonders starke Porter wurden Stout-Porter genannt. Daraus wiederum entwickelte sich das Stout.
Mein erstes Porter durfte ich in London trinken und bis heute ist es einer meiner Favoriten diese Bierstils. Das Fullers London Porter wird nicht ohne Grund als eines der besten Porter der Welt bezeichnet. Das Porter ist tiefschwarz und verbreitet Aromen von Zartbitterschokolade und leicht rauchigem Malz und einer dezenten fruchtigen Note. Das Bier ist cremig, leicht süß und trägt Schokoladeneis Noten auf, welche durch eine fruchtige Hopfennote perfekt harmonieren.
Die Fullers Brewery, welche bereits 1845 gegründet wurde, ist heute die führende Brauerei in Großbritannien für unfiltriertes Bier. Ein Besuch der Brauerei in London ist jedem Bierliebhaber wärmsten zu empfehlen.
Aus dem ursprünglichen Porter entwickelte sich auch das Baltic Porter, welches mit untergäriger Hefe vergoren wird. Jeder der sich für diesen Bierstil interessiert, wird in unserem Nachbarland Polen ein Paradies finden.
In Stralsund allerdings gibt es ebenfalls zwei starke Vertreter, gebraut durch die Braumanufaktur Störtebecker. Das Hansa-Porter und das Nordik-Porter müssen keinen Vergleich scheuen.
Ebenfalls entwickelte sich das Stout, was heute Wahrzeichen einer ganzen Nation ist. Irland ohne Guiness und ohne Harfe ist kaum vorstellbar.
Dennoch ist das ursprüngliche Stout ein eher stärker eingebrautes Bier gewesen. Besonders stark eingebraute Stouts werden auch als Imperial Stout bezeichnet.
Zwei erwähnenswerte Vertreter dieses sehr komplexen Bierstils sind das Noctus 100 der Brauerei Riegele in Augsburg und das Lemke Imperial Stout von der Brauerei Lemke in Berlin. Die Spezialität Noctus 100 wird in einem 3 Maischeverfahren mit Schokoladenmalzen und gerösteter Gerste hergestellt. Im Glas ist es tiefschwarz und hat eine kräftige, sahnige Schaumkrone. Noten von Bitterschokolade und Kaffee sind präsent, ^der wuchtige Körper läßt den Alkoholgehalt erahnen.
Beim Lemke Imperial Stout gesellen sich noch holzige und würzige Aromen, durch eine 6-monatige Reifung in französischen Barriques Fässern hinzu. Zudem wird dieses Imperial Stout zuvor noch Kaltgehopft.
Bereits beim Einschenken steigen holzige und würzige Aromen in die Nase. Dazu sind fruchtige Feigen- und Amarenakirschnoten sowie Kräuter- und Vanille Nuancen erkennbar. Der Antrunk wirkt ölig und weich. Kräuter und harzige Pinienaromen drängen sich in den Vordergrund. Eine schöne Trockenheit rundet das Imperial Stout wunderbar ab.
Schwarzbier
Zum Abschluss darf natürlich auch das Schwarzbier nicht unerwähnt bleiben, wobei der Übergang vom bayerischen Dunkel zum fränkischen Schwarzbier fast fließend ist.
Beim thüringischen Schwarzbier ist der Röstgeschmack etwas kräftiger als beim fränkischen Schwarzbier. Meine Empfehlung ist das tiefschwarze Buddelship Schwarzbier. Das Bier bildet eine karamellfarbende großporige Schaumkrone die verführerisch nach süßem Malz und Röstaromen duftet. Beim Antrunk zeigen sich die kräftigen Aromen nach Kaffee, Karamell, Röstmalz und ein Hauch Rauchnoten.
Vieles bleibt nach diesem ersten Ausblick weiterhin im Dunklen und sicherlich bedarf es noch einiger düsterer Artikel über die dunkle Seite der Macht. Bis dahin sei eben diese mit euch.